Stellt man Spanien dem deutschsprachigen Kulturraum gegenüber, lässt sich ein Nord-Süd-Gefälle feststellen.
Spanische Geschäftsleute aus den nördlich und nordöstlich gelegenen Regionen weisen tendenziell größere Ähnlichkeiten, z.B. in Sachen Zeitverständnis, Sachorientierung oder Planungsverhalten, mit ihren deutschsprachigen Kollegen auf. Katalonien gilt nicht umsonst als die spanische Schweiz. Vor allem in den südlichen Regionen sind die Unterschiede zum deutschsprachigen Kulturkreis wesentlich stärker ausgeprägt.
Um Unterschiede zwischen Kulturen zu analysieren und greifbar zu machen, gibt es zahlreiche wissenschaftliche Ansätze. Eine Methode ist die der Kulturstandards. Sie wurde von Alexander Thomas1 entwickelt und zielt darauf ab, das spezifische Orientierungssystem einer Kultur mit seinen verbindlichen Normen, Werten und Maßstäben darzustellen. Kulturstandards zeigen in einer reduzierten und abstrahierten Form, wie die Mehrzahl der Mitglieder einer Kultur denkt, wahrnimmt, wertet und handelt. Dabei geht es immer um Tendenzen und nie um absolute Wahrheiten. Was letztendlich zählt, ist die individuelle Begegnung zwischen Ihnen und Ihren spanischen Geschäftspartnern.
Nach Alexander Thomas sind für die spanische Geschäftskultur die folgenden sieben Kulturstandards charakteristisch:
In der spanischen Gesellschaft nimmt die Familie eine zentrale Stellung ein. Zu ihr gehören neben der Kernfamilie auch entfernte Verwandte und enge Freunde, sogenannte amigos íntimos. Gegenüber Familienmitgliedern zeigen Spanier eine große Loyalität. Auch das Ansehen der Familie muss stets gewahrt werden. Man trifft sich regelmäßig und unterstützt sich gegenseitig, auch in beruflicher und finanzieller Hinsicht. Im Unterschied zu Deutschen, Österreichern und Schweizern, die häufig Berufs- und Privatleben strikt voneinander trennen, plaudern Spanier gerne mit Kollegen über ihre Familie. Gleichzeitig erwarten sie vom Unternehmen und ihrem Vorgesetzten Verständnis, wenn sie sich einmal in einer schwierigen familiären Situation befinden.
Spricht Thomas von intrapersonaler Distanzminimierung, geht es ihm bei diesem Kulturstandard um die persönliche Nähe zwischen Geschäftspartnern oder Kollegen. Dabei bezieht er sich zum einen auf die physische Nähe und die Umgangsformen. Spanier kommen sich im Berufsleben näher als dies in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz der Fall ist. Man begrüßt sich herzlich mit Küsschen oder einem Schulterklopfen, gratuliert mit einer Umarmung. Zum anderen bezieht Thomas die Nähe auch auf private Themen, die man im beruflichen Umfeld anzusprechen bereit ist. Anders als in Spanien lernt man sich im deutschsprachigen Raum erst nach und nach auch auf einer persönlichen Ebene kennen. Es kann aber genauso gut sein, dass man mit Kollegen oder Geschäftspartnern niemals über Privates spricht.
Das spanische Geschäftsleben ist sehr beziehungsorientiert. Eine regelmäßige soziale Interaktion und die Beziehungspflege sind dabei wichtige Bestandteile. Ziel ist der Aufbau eines verlässlichen Netzwerks, in dem man sich jenseits von beruflichen Verpflichtungen und schriftlichen Verträgen vertraut und sich gegenseitig unterstützt. In deutschsprachigen Ländern wird diese Art der geschäftlichen Zusammenarbeit schnell als Vetternwirtschaft missinterpretiert und abgestempelt, da man hier im Berufsleben sehr sachorientiert vorgeht. Zwar baut man im Idealfall ebenfalls eine gute Beziehung zu seinen Geschäftspartnern oder Kollegen auf. Diese bleibt jedoch zweitranging. Es herrscht die Erwartungshaltung vor, dass man zum Wohle der Sache persönliche Sympathien oder Antipathien zurückstellt.
Ein weiterer Kulturstandard, den Thomas für Spanien anführt, ist die Gestaltung der Kommunikation. Dialog und persönlicher Austausch stehen im spanischen Berufsleben klar im Vordergrund. Die Kommunikation ist lebendig und wird durch Mimik und Gestik unterstützt. Ausdrucksstarke Wortgefechte und eine emotionale Darstellung haben dabei hohes Gewicht. Man unterbricht sich und spricht gleichzeitig. Dieser Kommunikationsstil dient häufig der Darstellung und Inszenierung der eigenen Person. Redegewandtheit ist essentiell, wenn es darum geht, Gesprächspartner von etwas zu überzeugen. Demgegenüber stehen im deutschsprachigen Raum erneut die Sachorientierung und eine sehr viel ruhigere Sprechweise.
Eng verbunden mit der Kommunikationsgestaltung ist die indirekte Art und Weise, mit der Spanier kommunizieren. Kritik und Verbesserungsvorschläge werden nicht direkt geäußert, sondern häufig als Fragen oder Wünsche ›verpackt‹. Lob und Komplimente kommen zum Einsatz, um einen harmonischen und möglichst konfliktfreien Gesprächsverlauf zu ermöglichen. Ziel der Indirektheit ist es, Stolz und Ehre des Gegenübers zu respektieren und auch bei schwierigen Themen eine positive Interaktion zu ermöglichen. Im deutschsprachigen Raum wird diese Indirektheit häufig falsch oder gar nicht verstanden. Bei Problemen erwartet man hier eine klare und konkrete Nennung der kritischen Punkte. Sachlich formulierte Kritik gehört zu einer professionellen Zusammenarbeit. Gelobt wird hingegen eher selten.
Der Kulturstandard Statusorientierung zielt auf den hierarchischen Aufbau spanischer Unternehmen ab. Vor allem in traditionellen Firmen und Familienunternehmen liegen Entscheidungsbefugnis und Verantwortung zentralisiert bei einem sehr kleinen Personenkreis, manchmal gar nur beim Firmeneigner. Die Mitarbeiter sind in einer solchen Organisation Empfänger und Ausführende von Anweisungen.
Intern wie extern achten Spanier darauf, dass in erster Linie Personen von gleichem Rang und Status miteinander kooperieren und kommunizieren. Loyalität entsteht dabei gegenüber einer Person und weniger gegenüber einer Sache. Auch bei diesem Kulturstandard lassen sich Unterschiede zum deutschsprachigen Kulturraum erkennen. Selbst, wenn dort in Unternehmen ähnliche Hierarchien bestehen, haben die Mitarbeiter doch einen wesentlich umfangreicheren Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum. Sie fühlen sich ihrer Aufgabe verpflichtet. Vorgesetzte delegieren Verantwortung an ihre Mitarbeiter. Für ihre Entscheidungsfindung ziehen sie das Urteil von Fachexperten ohne Führungsverantwortung heran.
Selbstverständlich gibt es auch in Spanien für alle Bereiche des täglichen Lebens Regeln, Normen und Gesetze. Allerdings unterscheidet sich der Umgang mit ihnen im Vergleich zu den deutschsprachigen Ländern deutlich. Spanier sind der Auffassung, dass Vorschriften flexibel gehandhabt werden können. Sie werden lediglich als Leitlinien betrachtet, die auch einmal umgangen werden dürfen. Dies gilt auch für Prozessdefinitionen, Vereinbarungen und Terminfestlegungen im Geschäftsleben. Insbesondere, wenn man sich im Unternehmen einen gewissen Status erworben hat, hat man aus spanischer Sicht das Recht, Regeln zu umgehen. Nach der deutschsprachigen Arbeitsauffassung gelten Regeln hingegen für alle – unabhängig vom jeweiligen Rang einer Person.
Eng mit dem Regelrelativismus verbunden ist nach Thomas die Gegenwartsorientierung in der spanischen Gesellschaft. Lange Planungsprozesse und rigide Zeitpläne sind daher im beruflichen Alltag nicht sehr verbreitet. Flexibilität und Kreativität bestimmen das spanische Denken und Handeln. Geschäftsleute aus dem deutschsprachigen Raum erachten hingegen den pünktlichen Beginn eines Meetings, die genaue Einhaltung der Prozessschritte oder die langfristige Planung einer Aufgabe als zentrale Bausteine für die erfolgreiche Umsetzung eines Projekts.
1)Rehbein, Ramona / Thomas, Alexander / Steinhuber, Sybille, Beruflich in Spanien – Trainingsprogramm für Manger, Fach- und Führungskräfte, Göttingen 2009.
Auszug aus: Alexandra Metzger: Geschäftskultur Spanien kompakt. Wie Sie mit spanischen Geschäftspartnern, Kollegen und Mitarbeitern erfolgreich zusammenarbeiten, ISBN 978-3-943176-22-3
This article has been submitted by CONBOOK Verlag .